Die Zuckerfalle beim Zmorge

Weniger Zucker heisst nicht unbedingt weniger süss. Weniger süss bedeutet nicht automatisch gesünder. Müesli zum Frühstück sind ein Beispiel für das Versteckspiel mit Zucker. Man muss genau aufpassen, um nicht auf die Tricks der Hersteller hereinzufallen.

Der Zucker wurde zum Knackpunkt, als John Harvey Kellogg vor mehr als 100 Jah­ren in seinem Sanatorium die Frühstücksflocken erfand. Der amerikanische Arzt hatte sich dem Kampf gegen die Verstopfung verschrieben, lang anhaltendes Kauen sollte dem Übel vorbeugen. Eigens für diesen Zweck erfand er Getreideplättchen, die Zähnen und Speichel möglichst lange standhielten: Die Cornflakes waren geboren. Johns Bruder Will erkannte das Potenzial der Flocken. Er fügte Zucker hinzu, der Verkauf zog an – und die brüderliche Eintracht schwand.

Geschmacklose Körner oder Zuckerbomben – zwischen diesen Polen bewegen sich die Frühstücksflocken (Cerealien) noch heute. Und man kann bereits an der Lebens­geschichte der beiden Brüder absehen, was erfolgreicher ist. Der Arzt John war am Ende hoch verschuldet, weil seine Körnerkauerei und asketischen Praktiken nicht attraktiv genug waren, um Besucher in sein Sanatorium zu locken. Bruder Will grün­dete mit seinen süssen Flocken ein rasant wachsendes Unternehmen, das heute einen Jahresumsatz von zehn Milliarden Dollar hat.

Am empfänglichsten für das zuckergebadete Getreide sind Kinder. Je süsser das Müesli, umso grössere Portionen füllen sich Kids in die Schüssel, haben US-Wissen­schaftler in einem Ferienlager beobachtet. Die Hersteller haben dies längst verstan­den. So sind die Cerealien, die speziell für Kinder vermarktet werden, sehr viel süsser. In ihnen fand die Organisation Foodwatch 2012 etwa 50 Prozent mehr Zucker als in Erwachsenen-Produkten: „Im Schnitt bestehen die Flocken in den kunterbunten Kartons zu 30 Prozent aus Zucker. Produkte, die eher für Erwachsene konzipiert sind, enthalten etwa 20 Prozent Zucker“, sagt Anne Markwardt von Food­watch.

Nun macht der Zucker die Kinder aller Wahrscheinlichkeit nach nicht schwer krank und auch nicht in medizinischem Sinne süchtig, doch der Stoff kann Karies und Übergewicht begünstigen, da er Kalorien, aber keinen Nährwert bietet. Und er prägt den Geschmack der Kinder. Wer von klein auf schon zum Frühstück zuckrige Flocken löffelt, wird Gurkenscheiben nicht viel abgewinnen können.

Die meisten Menschen wissen um die Probleme des Zuckers – und so helfen ihnen die Hersteller, das schlechte Gewissen zu beruhigen, indem sie mit weniger oder besserem Zucker werben. Unbesehen glauben sollten Müesli-Käufer solche Aus­sagen nicht.

Misstrauen ist bei folgenden Begriffen angebracht:

„Weniger süss“: Für diesen Begriff gibt es keine gesetzliche Vorgabe. In der Regel beziehen sich die Hersteller dabei lediglich auf den Geschmack. Das Produkt wirkt etwas weniger zuckrig, weil schwächer süssende Zuckerarten wie Traubenzucker oder der Zuckeraustauschstoff Oligofruktose eingesetzt wurden. Doch egal, welche dieser Süssmacher verwendet werden: Für die Ernährung und Gesundheit bedeuten sie keine wesentlichen Unterschiede. Zucker ist Zucker.

„Reduzierter Zuckergehalt“: Steht diese Formulierung auf der Verpackung, enthal­ten die Flocken 30 Prozent weniger Zucker als vergleichbare Produkte. Das muss nicht viel heissen. Denn einige Cerealien bringen es auf mehr als 40 Prozent Zucker; selbst nach der Reduzierung um ein Drittel liegt ihr Zuckergehalt noch knapp über dem Durchschnitt.

„Zuckerarm und Zuckerfrei“: Hier gibt es genaue Grenzwerte. Sie sind festgelegt in der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (sic!) des Bundesamts für Lebens­mittel­sicherheit und Veterinärwesen: Arm an Zucker darf sich ein Produkt nennen, das höchstens fünf Prozent davon enthält, zuckerfrei eines, das maximal 0.5 Prozent beinhaltet. Heikel ist aber die Definition von Zucker. Dabei müssen die sogenannten Polysaccharide wie Glukosesirup nicht mitberücksichtigt erden. Es kann also sein, dass ein <zuckerfreies> oder <zuckerarmes> Produkt Glukosesirup enthält.

„Mit Süsse aus Früchten“: Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich häufig Frucht­zucker, auch Fruktose genannt. Die Hersteller setzen ihn gerne ein, er ist billiger, süsser als Haushaltszucker und klingt dabei naturbelassen und gesund. Ein Trug­schluss: „Viele Gesundheitsbewusste ahnen nicht, dass ein hoher Konsum von Fruchtzucker Fettstoffwechselstörungen, Insulinresistenzen und Fettleibigkeit begünstigen kann“, sagen Ernährungsexperten. Bereits 35 Gramm Fruchtzucker pro Mahlzeit gelten als bedenklich.

Wer also möglichst wenig Zucker in seine Flocken haben möchte, muss sehr genau die Zutatenliste studieren – oder gleich auf Fertigmischungen verzichten.

Prinzipiell sind Cerealien kein schlechter Start in den Tag. Vor allem Vollkorn scheint von Vorteil zu sein. In der bislang grössten Studie dazu haben Wissenschaftler mehr als 350‘000 Menschen beobachtet. Es zeigt sich, dass diejenigen, die viel Vollkorn­brot und –müesli assen, seltener an Herz-Kreislauf-Leiden, Infektionen und Atem­wegserkrankungen starben.

Früchte in der Müeslischüssel sind ebenfalls zu empfehlen. „Dabei ist Trockenobst per se keine schlechte Wahl“, sagt die Ernährungsberatung. Zwar geht das Vitamin C durch die Hitzebehandlung verloren, doch viele Mineralstoffe wie Magnesium oder Kalium sind in den getrockneten Obststückchen hoch konzentriert enthalten. Bei Fertigmischungen ist allerdings keine Mindestmenge an Obst vorgeschrieben; viele enthalten überwiegend Rosinen, da sie preiswert und sehr süss sind.

Ausdrücklich raten Experten von Cerealien ab, die Schokolade oder Nougatfüllungen enthalten. Sie bedeuten zusätzlich zum Zucker jede Menge Fett. Mit einer Portion von 50 Gramm wird bereits ein Grossteil der Tagesration an Fett und Zucker aufgenommen, warnen die Verbraucherzentralen.

Was also tun? Wer ein möglichst gesundes Frühstück essen will, muss sehr genau auf die Zutatenliste schauen. Ober er mischt pure Getreideflocken mit frischem oder getrocknetem Obst, Nüssen, Kernen und bei Bedarf ein wenig Zucker oder Süss­stoffen.

 


© Suuretaler Metzgli

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